Von Ewald Albers, Zeven
Als die Auswanderer nur eine Schiffsfracht waren
Über sechs Millionen Menschen verließen in den vergangenen 200 Jahren ihre deutsche Heimat, um vor allem in den Vereinigten Staaten Nordamerikas ein neues Leben zu beginnen. Durch Unternehmungsgeist, Sparsamkeit und Fleiß haben viele Einwanderer ihr Schicksal gemeistert. Sehr oft berichteten sie mit berechtigtem Stolz den zurückgebliebenen Verwandten und Bekannten von ihrem Erfolg. Die weniger Erfolgreichen schrieben weniger oder gar nicht über ihren Werdegang. Mitunter gab es erst nach mehreren Jahren ein Lebenszeichen, weil die Glücklosen bis dahin ihre schlechte Lage nicht schildern mochten. Es hätte sich nicht mit dem Bild vom Goldenen Amerika vertragen.
Eher schon schrieben die Auswanderer nach ihrer Ankunft in Amerika, wie es ihnen während der Überfahrt erging. Da gab es oft sehr schlechte Meldungen, die eigentlich von einem weiteren Zulauf auf die Auswandererhäfen hätten abhalten müssen. Besonders die Zeit von 1830 bis 1850 ist gefüllt mit Nachrichten, die man als Horrormeldungen bezeichnen kann. In diesen Jahren benötigten die Segelschiffe je nach Wetterlage 45 bis 60 Tage für eine Überfahrt. Die Segelfrachter brachten aus Amerika Kaffee, Reis, Tabak, Baumwolle und andere Güter nach Europa. Im Gegenzug wurden Menschen “exportiert”. Man unterteilte die Frachträume durch große Holzbohlen in sogenannte Zwischendecks, so daß möglichst viel “Fracht” untergebracht werden konnte.
Ein Mitreisender schilderte das Quartier so:
“Auf dem Schiffe waren 28 Bettstellen, jede vier Ellen (ca. 2,20 m) breit und drei Ellen (ca. 1,65 m) lang. Fünf Menschen sollten in jeder Bettstelle schlafen, es konnten aber nur vier zugleich darin schlafen. Da habe ich fast immer auf einer Kiste geschlafen. Sobald das Schiff auf See war, habe ich mich mit Stricken auf der Kiste festgebunden, daß es mich nicht herunterwerfen konnte.”
Häufig klagten die Auswanderer über die schlechte Behandlung durch die Schiffsbesatzung. Viele fühlten sich wie Vieh behandelt.
Besonders oft wurde über das schlechte Essen geklagt. “Die Lebensmittel waren schlecht, die Zubereitung noch weit schlechter. Das Brot hatte wahrscheinlich schon mehrere Reisen gemacht; erst in den letzten acht Tagen, als es alle war, bekamen wir besser schmeckendes. Das Schweinefleisch war gänzlich verdorben, ohngeachtet man besseres hatte; die letzten acht Tage bekamen wir gutes. Das Kochwasser war der Jauche an Schmutzigkeit, Farbe und Geruch vergleichbar, und es muß schon schlecht mitgenommen sein; denn das Trinkwasser blieb gut. Doch bekam jeder nur täglich ¼ Quartier (knapp ein Viertelliter)”.
Obwohl sich vor allem der Bremer Senat um ständige Verbesserung bemühte, blieben die angeprangerten Missstände lange bestehen.
Vielleicht hätten wir ähnliche Meldungen von den 119 Passagieren der Brigg Carl Ferdinand lesen können, wenn ihre Briefe in der alten Heimat erhalten geblieben wären. Das Segelschiff dieser Auswanderer kam am 4. August 1837 von Bremerhaven aus im Hafen von Baltimore an. Einige von ihnen gelangten übrigens auf dem Landweg über rund 1500 Kilometer nach Cole Camp in Missouri. Von den 110 namentlich aufgeführten Zwischendeck-Bewohnern (die Eintragungen über die übrigen Mitreisenden konnten nicht entziffert werden) kamen 78 aus unserer engeren Gegend.
Aus Glinstedt kamen
Die sechsköpfige Familie (6) Claus Müller mit Schwiegereltern Blancken sowie Elisabeth Peper
aus Langenhausen
Johann Ficken
aus Friedrichsdorf
Johann Brockmann und
Hinrich Brauer
aus Ostereistedt
Christoph Meier
Hinrich Meier
Johann Meier und
Jacob Harms
aus Selsingen
Johann Jagels
und der Zimmermann Viebrock
aus Apensen
Christian Meier
aus Elsdorf
Hinrich Stürmann
aus Frankenbostel
Friedrich Steffens
aus Sottrum
Hinrich Dittmer
aus Zeven kamen die
Familie Carl Köhncke (5) sowie
Jacob Bögel und
August Wechselberg
aus Brüttendorf
Johann Dierck Otten
aus Oldendorf
Johann Dohrmann
aus Bülstedt
Tibke Blohm
aus Westertimke
Gerhard Gerken
aus Hanstedt
Hinrich Harms
aus Breddorf die
Familien Hinrich Holsten (4) und
Peter Knoop (4)
aus Hepstedt die beiden
Familien Claus Otten (6) und
Johann Gerken (3) sowie
Peter Haase
aus Tarmstedt
die Familie Cord Gerken (6) und
Gesine Böschen
aus Seebergen zwei
Familien Bremer (5)
aus Grasdorf
die Familie Hinrich Göhrs (5) sowie
Metta Pape und
Johann Gottlieb Backhaus
aus Dannenberg
die Familie Johann Schröder (6)
und aus Adolphsdorf schließlich
Johann Kücks.
Tragisch endete wahrscheinlich die Reise der Familie Gerken aus Tarmstedt. Der aus Ostertimke gebürtige Tischler Cord Gerken verließ Tarmstedt mit Ehefrau Metta, geb. Rodenburg, sowie fünf Kindern, kam aber nur mit den Kindern in Baltimore an. Die Mutter dürfte zu den 1% Toten gehört haben, die man durchschnittlich bei einer Überfahrt zu beklagen hatte. Bei den Passagieren ist schon das Alter verzeichnet. Die meisten Männer sind Landwirte. Doch in der Liste finden sich auch Schuhmacher, Schneider, Glaser, Tischler, Zimmerer, Schmied, Müller, Sattler, Bierbrauer und Weber. Die ledigen Mädchen werden als “servant” (Dienstmädchen) aufgeführt
.
Die Werbeagenturen in den größeren Orten unserer Gegend dürften die Auswanderungswilligen gruppenweise auf die Schiffe ihrer Reederei vermittelt haben. Deswegen gibt es in den Passagierlisten der einzelnen Schiffe immer wieder lokale Schwerpunkte.
Die mehr oder weniger zufällige Reisegemeinschaft endete im jeweiligen Einwanderungshafen. Von nun an war jeder auf sich allein gestellt. Es gibt keine Verzeichnisse darüber, wo die einzelnen Einwanderer geblieben sind. Doch in den letzten Jahren bekommen wir immer öfter Meldungen von den Nachkommen der Auswanderer. Diese Informationen besagen, daß die einstigen Zwischendeck-Insassen mehr oder weniger gehäuft über den gesamten Raum der damaligen USA verschlagen wurden. Mehrere Familien verzeichneten eine Vielzahl von Zwischenstationen, ehe sie endgültig in den Weiten des neuen Kontinents seßhaft wurden.
Die Passagierlisten in den nordamerikanischen Häfen werden zur Zeit mehr und mehr gedruckt. So können sich die vielen Interessenten informieren, da nun die Probleme mit der früheren Schrift wegfallen. Sie haben allerdings damit zu kämpfen, daß sich zu den vorhandenen Schreib- und Hörfehlern der alten Listen bei der Abschrift Übertragungsfehler eingeschlichen haben.
Text mit freundlicher Genehmigung von Ewald Albers, Zeven.